Ein 14-jähriger Jugendlicher, der bereits zahlreiche Beziehungsabbrüche und Aufenthaltswechsel –darunter auch mehrere Pflegefamilien – erlebt hat, befindet sich seit einem Jahr in einer intensiven stabilisierenden Beratung. Seine Biografie ist geprägt von körperlicher und psychischer Gewalt, sexualisierter Gewalt sowie langanhaltender Instabilität. Der Jugendliche galt lange Zeit als „tickende Zeitbombe“, zeigte Täterverhalten und wurde in der Vergangenheit häufig abgeschrieben – auch durch Fachkräfte.
Im Rahmen der Beratung wurde das Spiel „Mein inneres Team“ eingesetzt, um einen tiefergehenden Zugang zu seinen inneren Ressourcen und Konfliktanteilen zu ermöglichen. Zunächst wählte der Jugendliche aus 40 Begriffen 13 Eigenschaften aus, die ihn seiner Meinung nach auszeichnen könnten. Anschließend reduzierte er diese auf eine Startelf von 8 „Spielern“, während die übrigen auf die Ersatzbank kamen.
Sein Team bestand aus: Geduld, Intelligenz, Selbstvertrauen, Kreativität, handwerkliches Geschick, Durchhaltevermögen, Sportlichkeit und Selbstverteidigung.
Als Mannschaftskapitän wählte er Selbstverteidigung – eine Wahl, die seine innere Haltung und Überlebensstrategie deutlich widerspiegelt.
Sein Gegnerteam bestand aus lediglich vier Spielern: Versagensangst, Verlustangst, Angst und Abhängigkeit. Die Begründung war tiefgreifend: „Ich
habe eigentlich fast immer Angst – vor dem Sterben, davor wieder gehen zu müssen, davor, nicht verstanden zu werden.“ Besonders die Rolle von Abhängigkeit wurde als prägend erkannt – da andere über sein Leben bestimmen und er ständig bemüht ist, gemocht zu werden, um nicht wieder „rauszufliegen“.
Der visuelle Aufbau ermöglichte eine unmittelbare Erkenntnis: Sein Stärken-Team ist in der Überzahl. Daraus entstand die Frage: Welche Stärken können welche Gegner entkräften?
Selbstvertrauen und Durchhaltevermögen wurden als Gegenstrategien zur Versagensangst benannt.
Selbstverteidigung sei in der Lage, Abhängigkeit zu besiegen – er habe gelernt, Grenzen zu setzen, auch gegenüber übergriffigem Verhalten von Fachkräften.
Im Dialog zur Verlustangst entstand ein spannender Transfer: Sie könne – in gesunder Dosis – auch eine schützende Funktion haben. Eine „Spielregel“ wurde vereinbart: Bleibt sie kontrollierbar, darf sie mitspielen – ansonsten droht die Ersatzbank.
Insgesamt wurde deutlich, dass Angst in unterschiedlichen Facetten sein größter Lebensgegner ist – und dass er in einem ständigen inneren Selbstverteidigungsmodus lebt. Die Wahl von Selbstverteidigung als Kapitän unterstreicht diese Dynamik.
Die Fachkraft plant in der nächsten Sitzung, ein „Zukunfts-Wunsch-Team“ zu erarbeiten, um herauszufinden, mit welchen inneren Stärken der Junge künftig durchs Leben gehen möchte – und ob sich seine Mannschaft verändert hat. Ziel ist es, seine Selbstwirksamkeit, Lebensfähigkeit und Handlungskompetenz nachhaltig zu stärken.